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Westfälisches Institut für Regionalgeschichte (WIR)

Von: “LWL-Pressestelle”

Datum: 21.03.2006, 11:18AUSSTELLUNG

Der Neandertaler trotzte dem Klima - und verschwand
Neue Klimaausstellung in Herne

Im Westfälischen Museum für Archäologie in Herne wird ab 30. Mai
die bisher größte Ausstellung in Deutschland über “Klima und Mensch”
sowohl die Anpassungsfähigkeit der Menschen, Tiere und Pflanzen
über die Jahrtausende als auch die Klima-Extreme vor sechs Millionen
Jahren bis zu zukünftigen Hochwasserkatastrophen erlebbar machen
(bis 30. Mai 2007). Das Museum des Landschaftsverbandes
Westfalen-Lippe (LWL) wird das “Leben in Extremen” auf 900
Quadratmetern mit über 300 bedeutenden Exponaten aus allen
Kontinenten präsentieren. Vorab stellen wir einige der wichtigsten
Themen vor.

Als der etwa 30-jährige Mann auf die Jagd ging, ahnte er noch nicht,
was ihm an diesem Tag passieren sollte. In einem dunklen Waldstück
erspähte er Spuren eines Rinds, denen er über mehrere Hundert Meter
folgte. An einem Bach sah er dann das Tier, schlich sich an, immer näher,
hob seine Axt - und bekam einen fürchterlichen Schlag auf den Kopf.
Ein anderer Jäger war ihm zuvor gekommen, hatte das Beutetier schon
für sich ausgemacht und sich mit einem schweren Stock den Konkurrenten
vom Hals geschafft. Der verletzte Mann hatte Glück, einige Stunden
später fanden ihn einige Familienmitglieder, blutend, mit einem dicken
Loch im Kopf.

Die Geschichte spielte sich so oder ähnlich vor etwa 125.000 Jahren ab,
im Gebiet des heutigen Krapina in Kroatien. Das Besondere an der
Geschichte: “Die Angehörigen des Neandertalers kümmerten sich um
den verletzten Jäger und pflegten ihn wieder gesund”, sagt Dr. Michael
Baales. Der LWL-Archäologe begründet seine Theorie mit einem Fundstück,
das in der Ausstellung “Klima und Mensch” ab dem 30. Mai im Westfälischen
Museum für Archäologie in Herne zu sehen ist. “Das Schädeldach weist
eine verheilte, schwere Kopfverletzung auf, die der Mann ohne Pflege
niemals überlebt hätte.” Sein Fazit: “Auch der Neandertaler war ein
Gemeinschaftswesen, wie alle Menschen.” Darauf deutet auch eine Elle
hin, die ebenfalls in der Ausstellung gezeigt wird und deren Narben
wahrscheinlich von Arthrose oder einer Amputation herrühren.

Für die Wissenschaftler beweisen diese Funde, dass die Neandertaler
sich sozial verhielten, “ohne das sie in den extremen Situationen und
Klimaten auch nicht hätten überleben können”. Die frühe Menschenart
musste sich, wie alle menschlichen Gemeinschaften, mit Krankheiten, aber
auch mit Verletzungen aus gewaltsamen Kämpfen auseinandersetzen.
Auch diesen Teil der menschlichen Geschichte dokumentiert die Ausstellung -
etwa mit einem 5.000 Jahre alten Schädel, den Archäologen in Porsmose
in Dänemark fanden und in dem noch eine Pfeilspitze steckt.

Der Neandertaler benötigte den sozialen Zusammenhalt auch, um mit
den wechselnden und extremen Klimabedingungen in Europa zurechtzukommen.
Vor 120.000 Jahren zum Beispiel war es durchschnittlich bis zu zwei Grad
wärmer als heute. Während der Höhepunkte der jüngsten Eiszeit dagegen
wurde es selbst im Sommer kaum wärmer als zehn Grad Celsius, und die
Winter waren lang mit ständigem Frost.

Trotzdem verbreitete sich der Neandertaler von Portugal bis nach
Usbekistan, von Italien bis Wales, wo er zeitgleich mit Leoparden lebte,
wie Fundstücke in der Ausstellung belegen. In Herne war er übrigens auch.
Ein etwa 80.000 bis 100.000 Jahre alter Faustkeil, den man in der
Ruhrgebietsstadt fand, belegt das.

“Er war sehr flexibel, körperlich wahrscheinlich sogar besser gerüstet als
der Homo Sapiens, der vor etwa 200.000 Jahren in Ostafrika entstand”,
berichtet Michael Baales. Der klassische Neandertaler hatte massivere
Knochen und einen muskulöseren Körperbau als der moderne Mensch,
außerdem Überaugenwülste, eine flache Stirn und ein fliehendes Kinn.
“Der Neandertaler hatte zudem ein größeres Hirnvolumen, konnte besser
hören und sehen und war stärker”, erklärt der Archäologe. Trotz dieser
Vorteile starb der Neandertaler vor etwa 36.000 Jahren aus. “Warum,
weiß niemand so genau”, sagt Baales.

Vielleicht lag es ja daran, dass sich der Homo Sapiens aus Europa wieder
nach Afrika zurückzog, als es vor 64.000 Jahren während der letzten
Kaltzeit in Europa wieder richtig eisig wurde. Der Neandertaler aber blieb -
und verschwand.

INFO

Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft der Unesco und des
NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers und ist eine Kooperation mit
der Nordrhein-Westfälischen Stiftung für Umwelt und Entwicklung. Sie
wird außerdem gefördert von:
Kulturstiftung Westfalen-Lippe, Gelsenwasser AG, ThyssenKrupp Steel AG,
RWE Westfalen-Weser-Ems-AG, Stadtwerke Herne AG, 1komma6
Multimediale Dienstleistungen GmbH, Reifen Stiebling GmbH, Schwing GmbH,
Deutsche Benkert GmbH & Co. KG, Sasol Germany GmbH, Kulturinitiative
Herne e.V., Werner Ollbrink GmbH, Stadt Herne, Stadtmarketing Herne,
Stadt Herne, Verein der Freunde und Förderer des Westfälischen Museums
für Archäologie e. V.
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